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Assistive Technologien


«For people without disabilities, technology makes things easier; for people with disabilities, technology makes things possible» (Wendt und Lloyd 2011, S. 1). Welche Möglichkeiten Technologien für Schüler*innen mit Beeinträchtigungen bieten, was sie möglich machen und worauf wir bei ihrem Einsatz in einem inklusiven Unterricht achten müssen, darum geht es im folgenden Beitrag.

Was sind assistive Technologien?

Wenn Technologien Funktionen und Fertigkeiten übernehmen, die Menschen nicht (mehr) selber ausführen können, sprechen wir von Assistiven Technologien  (Bosse und Haage 2020; Bosse et al. 2019; Dirks und Linke 2019). Der Begriff Assistive Technologien (AT) wurde aus dem Amerikanischen «assistive technology» übernommen und wird international als Fachbegriff verwendet (Feichtinger 2020).

Der Begriff Assistive Technologien kann unterschiedlich weit gefasst werden. Oft werden unter AT Hilfsmittel verstanden, welche Elektronik nutzen, z.B. ein Roboterarm, oder eine elektronische Grundlage haben, z.B. eine besondere Software (Feichtinger 2020). Dabei handelt es sich um speziell entwickelte Technik für Menschen mit Funktionsbeeinträchtigungen. «Zusätzlich zu den speziell entwickelten Hilfsmitteln nutzen Menschen mit Beeinträchtigungen zunehmend auch Alltagstechnologien zur Unterstützung» (Dirks und Linke 2019, S. 241–242). In diesem Zusammenhang wird der Begriff «Universal Design» gebraucht. Dahinter steht die Idee, dass Produkte, Bauten, Programme etc. so gestaltet werden, dass sie von allen Menschen ohne besondere Anpassungen genutzt werden können (Fisseler 2020). Ein Haus wird nach der Idee des Universal Design bereits mit Rampen geplant, das Smartphone hat standardmässig einen Screenreader oder eine Sprachsteuerung eingebaut. Die Nutzung von herkömmlichen Produkten wie Tablets und Smartphones als Assistenz ist in dem Sinne attraktiv, als dass sie weniger stigmatisierend wirkt. «Assistive Technologien sind Identitätsmarker in doppeltem Sinne: Sie können ein Werkzeug für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit sein, aber auch ein Symbol für Behinderung und Abhängigkeit» (Bosse und Haage 2020, S. 534). Zudem bieten diese mobilen Engeräte niederschwelligere Erprobungsmöglichkeiten, so dass sie auch bei leichteren oder nicht diagnostizierten Beeinträchtigungen unterstützend eingesetzt werden können (Feichtinger 2020).

Oft werden AT nach ihrer Komplexität in Gruppen eingeteilt. So können auch Alltagsgegenstände wie rutschfeste Schreibunterlagen oder Karten mit Bildern, die zur Kommunikation eingesetzt werden, als AT angesehen werden. Solche Hilfsmittel ohne Strom werden als Low-Tech bezeichnet. Einfache elektronische Hilfsmittel, wie sprechende Tasten fallen unter den Begriff Mid-Tech. Als High-Tech bezeichnet werden Geräte mit Mikroprozessoren wie spezielle Tastaturen oder Wortvorhersage-Softwares (Krstoski 2022). Welcher Gruppe ein Hilfsmittel zugeordnet wird verändert sich im Zuge der technischen Entwicklung (Feichtinger 2020). So eröffnen neue Technologien wie Brain-Computer-Interfaces neue Möglichkeiten, welche als High-End-Tech bezeichnet werden (Krstoski 2022).

AT können also speziell entwickelte aber auch mainstreem Technologien und Produkte sein. Sie können ohne Elektronik auskommen aber auch neuste Technologien beinhalten. Sie setzen alle bei den Funktionsbeeinträchtigungen von Menschen an und versuchen Barrieren, die sich durch diese ergeben zu beseitigen oder abzumildern. Dadurch tragen sie zur Partizipation bei (Krstoski 2022).

Welche Bedeutung haben Assistive Technologien?

AT werden eingesetzt, um Fähigkeiten zu erhalten und Aktivitäten zu ermöglichen, welche ohne diese nicht möglich wären. Dadurch soll Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Selbstbestimmung und Selbstständigkeit ermöglicht werden, was wiederum das Wohlbefinden der nutzenden Person steigert (Schiffhauer 2020). Es kann festgehalten werden, dass AT «die Lebensqualität der Nutzenden zu erhöhen» (Schiffhauer 2020, S. 265). Entsprechend werden AT nicht nur in bestimmten Lebensbereichen eingesetzt.

AT in der Schule

Auch in der Schule kann AT in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden. Häufig spielt sie in der Kommunikation eine Rolle. Kinder ohne oder mit eingeschränkter Verbalsprache können z.B. über Talkerapps auf Tablets kommunizieren. Computereinstellungen können mit Hilfe von AT den Bedürfnissen von Kindern angepasst werden, sei dies über Einstellungen auf dem Bildschirm, wie grössere Schrift oder höherer Kontrast durch anderen Hintergrund oder durch angepasste Tastaturen und Mäuse. Schüler*innen mit einer Sehbeeinträchtigung können sich Texte durch AT vorlesen lassen, für hörbeeinträchtige Schüler*innen kann das gesprochene Wort in Text umgewandelt werden. Angepasste Fahrräder, z.B. mit drei Rädern oder Handantrieb, ermöglichen die Teilhabe an der gemeinsamen Fahrradtour (Wendt und Lloyd 2011).

Diese Beispiele zeigen, dass AT Inklusion unterstützen und Segregation entgegen wirken kann (Ravneberg und Söderström 2017). Das Vorhandensein von AT allein führt aber nicht zur Inklusion. «[…] Regardless of the potential AT holds for disabled students, the technology alone does not enhance participation in ordinary school settings. The triggering factor for full utilisation of AT’s anticipated benefits is released when socio-material practises are incorporated in regular classroom settings in mainstream schools» (Ravneberg und Söderström 2017, S. 44). Vielmehr muss AT ein natürlicher Teil des Unterrichts werden. Neben dem Wissen darüber, wie Technologien im Unterricht allgemein eingesetzt werden sollten, fordern Marino et al. (2009), dass Lehrpersonen auch Wissen darüber haben sollten, welche Möglichkeiten assistive Technologien bieten. «[A]dding assistive knowledge to technology knowledge will allow preservice teachers to view technology through an enhanced lens, which extends their understanding of the ways technology can be used to improve student learning» (Marino et al. 2009, S. 193). Kombiniert mit behinderungsspezifischem und inklusiv-didaktischem Wissen kann dies zu einer gewinnbringenden Nutzung von Technologie im Unterricht führen und die Partizipation aller Schüler*innen unterstützen (Nussbaumer und Hövel 2021).

Wie der Einsatz von Technologien im Unterricht allgemein, hängt auch der Einbezug von AT im Unterricht von den Haltungen und Einstellungen der Lehrpersonen ab (Wendt und Lloyd 2011; Ravneberg und Söderström 2017).

Weiter spielt die technische sowie die begleitende Komponente bei der Einführung von AT eine wichtige Rolle. In beiden Bereichen brauchen pädagogische Fachpersonen Unterstützung. Damit der Einsatz von AT gewinnbringend ist, braucht es viel Einsatz von verschiedenen Personen und eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Fachkräfte. Ob dies gelingt, hängt auch von Rahmenbedingungen z.B. der Institutionen ab (Ravneberg und Söderström 2017).

Literaturverzeichnis

Bosse, Ingo; Haage, Anne (2020): Digitalisierung in der Behindertenhilfe. In: Nadia Kutscher, Thomas Ley, Udo Seelmeyer, Friederike Siller, Angela Tillmann und Isabel Zorn (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Weinheim, Basel: Beltz, S. 529–539.

Bosse, Ingo; Kamin, Anna-Maria; Schluchter, Jan-René (2019): Inklusive Medienbildung. Zugehhörigkeit und Teilhabe in gegenwärtigen Gesellscharten. In: Marion Brüggemann, Sabine Eder und Angela Tillmann (Hg.): Medienbildung für alle. Digitalisierung. Teilhabe. Vielfalt., Bd. 55. 1. Auflage. München: kopaed (Schriften zur Medienpädagogik, 55), S. 35–52.

Dirks, Susanne; Linke, Hanna (2019): Assistive Technologien. In: Ingo Bosse, Jan-René Schluchter und Isabel Zorn (Hg.): Handbuch Inklusion und Medienbildung. 1. Aufl. Weinheim / Basel: Beltz Juventa, S. 241–251.

Feichtinger, Marcel (2020): Unterstützte Kommunikation, Assistive Technologien und Teilhabe. In: Jens Boenisch und Stefanie K. Sachse (Hg.): Kompendium Unterstützte Kommunikation. Stuttgart: Kohlhammer, S. 287–295.

Fisseler, Björn (2020): Inklusive Digitalisierung. Universal Design for Learning und assistive Technologie. In: Sonderpädagogische Förderung heute 65 (1), S. 9–19.

Krstoski, Igor (2022): Lernen durch Assistive Technologien. In: Lea Schulz, Igor Krstoski, Martin Lüneberger und Dorothea Wichmann (Hg.): Diklusive Lernwelten. Zeitgemässes Lernen für alle Schüler:innen. Dornstadt: Visual, S. 48–60.

Marino, Matthew T.; Sameshima, Pauline; Beecher, Constance C. (2009): Enhancing TPACK With Assistive Technology: Promoting Inclusive Practices in Preservice Teacher Education. In: Contemporary Issues in Technology and Teacher Education 9 (2), S. 186–207.

Nussbaumer, Daniela; Hövel, Dennis C. (2021): Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) in der schulischen Heilpädagogik (IN_USE). Ein systematischer Überblick. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 72, S. 628–639.

Ravneberg, Bodil; Söderström, Sylvia (2017): Disability, Society and Assistive Technology. London / New York: Routledge.

Schiffhauer, Birte (2020): Assistive Technologien in der Sozialen Arbeit. In: Nadia Kutscher, Thomas Ley, Udo Seelmeyer, Friederike Siller, Angela Tillmann und Isabel Zorn (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Weinheim, Basel: Beltz, S. 265–275.

Wendt, Oliver; Lloyd, Lyle L. (2011): Definitions, History, and Legal Aspects of Assistive Technology. In: Oliver Wendt, Raymond W. Quist und Lyle L. Lloyd (Hg.): Assistive Technology. Principles and applications for communication disorders and special education. Bingley: Howard House, S. 1–22.

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