Das bin ich – maschinengenerierte Schönheitsideale?!

Digitale Medien können Mittel zur Selbstinszenierung sein. Filter, Selfies, Avatare und Profilbilder prägen, wie Kinder und Jugendliche sich selbst wahrnehmen – und wie sie von anderen gesehen werden wollen. In Apps wie TikTok oder Instagram und in Spielen wie Roblox oder Minecraft erschaffen sie digitale Abbilder ihrer selbst: mal spielerisch, mal angepasst an Schönheitsideale, die auf Plattformen millionenfach geteilt werden. 
Auch KI-basierte Anwendungen wie Lensa AI, Zepeto oder My AI machen es einfach, ein „perfektes Ich“ zu generieren – eines, das oft glatter, schlanker, strahlender ist als die Realität. Diese Bilder wirken nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen: Sie beeinflussen das Selbstbild, formen Wünsche und setzen neue Vergleichsrahmen. 

Und wie ist das bei dir? Zeigt dein Profilbild auf Instagram, WhatsApp oder LinkedIn, wie du dich wirklich siehst – oder eher, wie du gesehen werden möchtest? 

Je häufiger solche Darstellungen genutzt werden, desto fliessender werden die Grenzen zwischen Realität und Inszenierung. Die Frage ist nicht nur „Wer bin ich online?“, sondern auch: „Was sagt meine digitale Darstellung über mich aus – und wie verändert sie mein Bild von mir selbst?“ 
Deshalb ist es wichtig, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, solche Medieninhalte zu reflektieren: Sie sollen erkennen, wie idealisierte Avatare, gefilterte Gesichter oder digitale Feedbackmechanismen ihre Wahrnehmung beeinflussen – und lernen, diese kritisch zu hinterfragen. Denn digitale Selbstbilder sind mehr als technische Spielereien: Sie sind Teil eines komplexen Wechselspiels zwischen Ausdruck, Erwartung und Identität. 

Perspektiven im Überblick

Technologische
Perspektive

Filter und Avatare basieren auf algorithmischen Prozessen, die Gesichter erkennen, Merkmale verändern und Inhalte selektiv sichtbar machen. KI-Modelle und Plattformlogiken bestimmen mit, wie das digitale Ich entsteht und wahrgenommen wird.

Gesellschaftlich-
kulturelle Perspektive

Die digitale Selbstdarstellung beeinflusst das Selbstbild von Kindern und Jugendlichen und ist eng mit gesellschaftlichen Schönheitsnormen, Zugehörigkeit und medialen Rollenbildern verknüpft.

Anwendungs-
orientierte Perspektive

Kinder gestalten Avatare, nutzen Filter und posten Inhalte, um sich auszudrücken oder Feedback zu erhalten. Dabei geraten sie in Spannungsfelder wie Zugangsbeschränkungen, Datenschutzprobleme, Kostenfallen oder Mobbing durch Bildmanipulation.

WarmUp

Leyla nutzt auf ihrem Handy häufig Filter, um Selfies aufzuhübschen. Besonders der „Glow-Filter“ gefällt ihr – damit sieht ihre Haut ganz glatt aus. Auch ihr Avatar bei Roblox hat lange Wimpern und pinke Haare. Wenn Leyla ein ungefiltertes Foto von sich selbst sieht, findet sie sich nicht mehr so hübsch. Auf Instagram bekommt sie auf die bearbeiteten Fotos deutlich mehr Likes. Manchmal fragt sie sich:

«Kann ich im echten Leben so sein, wie mein digitales Ich?»

Dieses Beispiel zeigt, dass digitale Selbstdarstellung oft nicht nur Ausdruck, sondern auch Richtmass für das reale Selbst wird. Das digitale Ich dient dabei als Idealbild, dem man nachzueifern versucht – sei es in Kleidung, Körperhaltung, Mimik oder sogar durch Apps zur Bildoptimierung im Alltag. Identitätsarbeit findet nicht isoliert, sondern im Wechselspiel zwischen digitaler Inszenierung und analogem Abgleich statt. 

Gerade deshalb ist es wichtig, im Unterricht Räume zu schaffen, in denen Kinder ihre Selbstdarstellungen besprechen, vergleichen und hinterfragen können: Was gefällt mir an meinem Avatar oder Selfie? Warum wähle ich genau diesen Look? Und was passiert, wenn die digitale Version von mir mehr Anerkennung bekommt als die reale? 

Ein bewusster Umgang mit medialen Selbstbildern bedeutet dabei nicht nur Technikverständnis, sondern auch die Fähigkeit zur emotionalen Differenzierung – also zur Frage: Was fühle ich, wenn ich mich so sehe? Und: Was wünsche ich mir wirklich? 

Technologische
Perspektive

Digitale Filter, Bildbearbeitungs-Apps und KI-gestützte Avatare beruhen auf komplexen algorithmischen Prozessen: Sie erkennen Gesichtsmerkmale, verändern Proportionen oder erzeugen aus Textbeschreibungen fotorealistische Bilder. Tools wie Snapchat, TikTok oder Lensa AI arbeiten mit KI-Modellen, die auf riesigen Bilddatensätzen trainiert wurden – und dabei oft bestimmte Schönheitsideale verstärken. 

Auch die automatische Vorauswahl und Bearbeitung von Bildern folgt algorithmischen Mustern: Was als „schön“ oder „aufmerksamkeitsstark“ gilt, wird von Plattformlogiken bevorzugt angezeigt. So entscheiden nicht Menschen, sondern Systeme darüber, welche Bilder Aufmerksamkeit erhalten – und welche unsichtbar bleiben. 

In digitalen Spielen wie Roblox, Fortnite oder Minecraft lassen sich technologische Zusammenhänge besonders gut beobachten: Avatare entstehen dort aus vorgegebenen Bauteilen, Kleidungsoptionen oder Animationen, die oft bestimmten Trends folgen – und damit das visuelle Ausdrucksspektrum subtil lenken. 

Diese Perspektive zielt auf ein Verständnis der Funktionsweise digitaler Werkzeuge: Wie wird ein Bild generiert? Wie funktionieren Filtertechniken? Welche Rolle spielen Algorithmen bei der Sichtbarkeit von Inhalten? Ein kritischer Blick auf diese Mechanismen ist Voraussetzung dafür, eigene Beiträge bewusst zu gestalten, ihre Wirkung einzuschätzen und digitale Werkzeuge verantwortungsvoll zu nutzen. 

Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive

Digitale Selbstdarstellung ist mehr als ein technisches Phänomen – sie ist Ausdruck von Identität, Gruppenzugehörigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe. Kinder und Jugendliche orientieren sich dabei an Influencer:innen, an Vorbildern aus sozialen Medien und an Gleichaltrigen, die scheinbar mühelos den digitalen Idealbildern entsprechen. 

Likes, Shares und Kommentare wirken dabei wie soziale Spiegel: Wer positive Rückmeldungen erhält, fühlt sich gestärkt. Wer ausbleibende Reaktionen erlebt, zweifelt schnell an der eigenen Darstellung – oder am eigenen Wert. Viele Kinder entwickeln Strategien, um in sozialen Netzwerken sichtbar zu bleiben: Sie gestalten ihr digitales Ich attraktiver, optimieren Posen, bearbeiten Gesichter oder passen sich modischen Normen an. 

Gleichzeitig wird die Grenze zwischen realer und digitaler Identität durchlässig: Manche nutzen digitale Avatare, um eigene Unsicherheiten zu kompensieren. Andere finden durch Reaktionen im Netz Bestätigung, die sie im Alltag vermissen. In jedem Fall beeinflussen mediale Rückmeldungen das Selbstbild – oft stärker, als es auf den ersten Blick scheint. 

Im Unterricht braucht es Räume, um solche Phänomene zu thematisieren: Was bedeutet es, im Netz „gesehen“ zu werden? Welche Rollenbilder und Schönheitsnormen dominieren Plattformen wie Instagram oder TikTok? Wer wird ausgeblendet – und warum? Ziel ist die Entwicklung einer kritischen Medienhaltung, die Vielfalt und Echtheit wertschätzt und gesellschaftliche Zusammenhänge sichtbar macht. 

Anwendungsorientierte Perspektive

Im Alltag junger Menschen sind Avatare, Filter und Selfies Teil der täglichen Medienpraxis. Kinder erstellen digitale Abbilder, posten Inhalte oder kommunizieren über Plattformen – teils spielerisch, teils gezielt. Dabei nutzen sie Tools wie Bitmoji, Zepeto oder Lensa AI, um sich zu zeigen, aber auch um etwas über sich auszudrücken oder Rückmeldungen zu erhalten. 

Diese digitalen Räume bieten grosse Gestaltungsmöglichkeiten – aber auch Herausforderungen. Viele Funktionen sind hinter Bezahlschranken verborgen: realistische Hauttexturen, ausgefeilte Avatare oder seltene Gestaltungselemente sind oft nur gegen Geld verfügbar. Wer keinen Zugang hat – etwa weil Eltern solche Ausgaben einschränken oder Apps aus Datenschutzgründen blockieren –, bleibt ausgeschlossen oder weicht auf weniger sichere Angebote aus. 

Zudem bergen die Tools Risiken: Sie sammeln Daten, nutzen biometrische Merkmale oder speichern Nutzungsprofile. Gleichzeitig können sie auch missbraucht werden – etwa zur Erstellung von Fake-Profilen, um andere blosszustellen oder lächerlich zu machen. Die Gestaltung von digitaler Identität ist daher immer auch eine Frage der Verantwortung: sich selbst zu zeigen bedeutet auch, andere nicht zu verletzen. 

Im Unterricht geht es darum, diese Nutzungspraxis sichtbar und reflektierbar zu machen. Lernende können eigene Avatare gestalten, Selfies vergleichen oder Plattformfunktionen analysieren. Sie diskutieren über Wirkung, Zielgruppen und Absichten – und entwickeln so ein Bewusstsein dafür, dass jedes Bild im Netz mehr ist als ein Bild: Es ist eine Aussage, eine Einladung zur Reaktion, eine Form sozialer Interaktion. 

Ziel ist, dass Kinder und Jugendliche mediale Ausdrucksformen gestalten und zugleich deren Wirkung verstehen – und dabei Handlungsspielräume entdecken, um sich authentisch, kreativ und respektvoll im digitalen Raum zu bewegen. 

Gesamtblick

Digitale Selbstdarstellung ist ein alltagsnahes und hochrelevantes Thema für Kinder und Jugendliche. Es bietet vielfältige Anknüpfungspunkte zur Förderung von Medienkritik, Selbstreflexion und sozialer Verantwortung. Im Zentrum steht die Frage: Wie möchte ich im Netz wahrgenommen werden? 

BY Konsortium MIA21
Dieser Beitrag ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (CC BY 4.0).

Weiterführendes zum Thema

digital health

digital health

Wearables, also tragbare Technologien wie Fitness-Tracker oder Smartwatches, erlauben es uns, unsere Gesundheit, Fitness oder unseren Schlaf kontinuierlich zu überwachen …
Scratch

Scratch

Screenshot Scratch online Thema: Programmieren, Programmiersprache, Online-Community Herausgeber: Scratch Foundation und Lifelong Kindergarten Group; MIT Media Lab Stufe: Zyklus 1, …
Connected 1 - Kapitel 4 "Vom Alltagscode zum digitalen Code"

Connected 1 – Kapitel 4 «Vom Alltagscode zum digitalen Code»

Thema: Verschlüsselung Herausgeber: LMVZ Lehrmittelverlag Zürich Stufe: Zyklus 2 Vom Alltagscode zum digitalen Code (Connected 1 ab S. 79): Hier …
xLogo

xLogo

Screenshot Beispiel «Haus» Thema: Block- und textbasiertes Programmieren Herausgeber: ABZ der ETH Stufe: Zyklus 1, Zyklus 2, Zyklus 3 xLogo …
Hello Ruby - Programmier dir deine Welt

Hello Ruby – Programmier dir deine Welt

Thema: Computational Thinking (Grundkonzepte des Programmierens) Herausgeber: Bananenblau Stufe: Zyklus 1 Das Buch von Linda Liukas führt auf spielerische und …
Online-Bewerbungen

Online-Bewerbungen

Online-Bewerbungen bieten eine Reihe von Vorteilen im Vergleich zu traditionellen Bewerbungsverfahren auf Papier. Bewerbungen sind von überall aus möglich, die …
Informatik Biber:<br>Ausgewählte Graph Biber Karten

Informatik Biber:
Ausgewählte Graph Biber Karten

Übung Erdbeerklau mit Biber Karte und Zusatzfrage (eigene Aufnahme). Thema: Algorithmen, Graphen Herausgeber: Informatik Biber Schweiz Stufe: Zyklus 2 Die …
xLOGOonline (Aufgaben)

xLOGOonline (Aufgaben)

Screenshot des Angebotes des ABZ der ETH: Programmieraufgaben in xLOGO direkt eingebettet Thema: Textbasiertes Programmieren (Maxi) Herausgeber: ABZ der ETH …
Sprachen, Codes und Geheimnisse

Sprachen, Codes und Geheimnisse

Kinder machen in ihrem Alltag vielfältige Erfahrungen mit Zeichensystemen zur Übermittlung von Nachrichten: die gezeichneten Botschaften, bevor sie schreiben konnten, …
Personalisierung

Personalisierung

Bild erstellt mit Dall-E Personalisierung im Internet bezieht sich auf die Anpassung digitaler Inhalte und Dienste an die individuellen Bedürfnisse, …

Autorschaft